Hochstraße Nord (B44), Ludwigshafen
350 Proben für den Abriss
Eine kleine Baustelle wird immer wieder für ein bis zwei Stunden auf der Hochstraße Nord eingerichtet und wandert dann weiter auf der 1,8 Kilometer langen Fahrbahn. Damit müssen die Autofahrer bis Ende nächster Woche rechnen. Der Grund dafür sind aber keine Notreparaturen, sondern Spezialuntersuchungen. Um den Abriss des Brückenbauwerks vorzubereiten, der ab 2018 vorgesehen ist, wird die genaue Beschaffenheit der Fahrbahnkonstruktion und Betonpfeiler erkundet. Mit bis zu 25 Zentimeter tiefen Bohrungen entnimmt das Mannheimer Ingenieurbüro Gumm insgesamt rund 350 Materialproben.
Im Abstand von 50 Metern entnehmen Benjamin Natter (links) und Björn Böhm Materialproben von der Asphaltdecke und von der Brückenkonstruktion der Hochstraße. Der Eimer mit Kaltasphalt zum Füllen der Löcher steht bereit.
Bohrungen bis 25 Zentimeter tief
"Wir müssen beispielsweise die Druckfestigkeit der Betonteile kennen und wissen dann, wie gut das Material beim Abriss gebrochen werden kann. Diese Angaben sind wichtig für die spätere Ausschreibung der Arbeiten", sagt Tim Frese vom Ingenieurbüro. "Zudem müssen wir wissen, ob es sich um einen reinen Beton handelt oder er mit Fremd- und Schadstoffen behaftet ist", ergänzt Bauingenieur Martin Freudenberg. Er gehört zum Team der Stadtverwaltung, das bei den Abrissvorbereitungen und der technischen Planung eingebunden ist.
HOCHSTRASSE NORD
Die 1,8 Kilometer lange Hochstraße Nord wurde von 1970 bis 1981 in 34 Teilbauwerken errichtet. Jeweils 150 Materialproben werden an der Fahrbahn-Oberseite und Unterseite der Hohlkästen gezogen. An der seitlichen Betonbegrenzung der Fahrbahn sind es 20, am Farbanstrich und Hochbunker jeweils 10. Beim Abriss fallen rund 213 000 Tonnen Beton an. Gravierende Schäden wurden an einem Viertel der 166 Hohlkästen unter der Fahrbahn festgestellt. Durch undichte Abflussleitungen von der Fahrbahn drang Tausalz jahrelang in die Stahlbetonwand ein. Seit 2010 besteht ein Lkw-Verbot für einen 470 Meter langen Abschnitt in Fahrtrichtung Bad Dürkheim. Mit Fangnetzen wurde der Bereich unter der Hochstraße gesichert.
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Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sollten möglichst viele Baustoffe wiederverwertet werden, einige Schadstoffe sind indes separat zu entsorgen. Daher klären die Experten durch die Bohrungen, ob sich auch Asbest oder Schwermetalle im Bauwerk befinden.
Dabei werden auch die einzelnen Schichten unter der Fahrbahn untersucht. Geologe Björn Böhm vom Ingenieurbüro greift zum Diamantbohrer, der sich schnell in die Schwarzdecke der Hochstraße frisst.
Nach wenigen Minuten holt Baustoffprüfer Benjamin Natter mit einer Spezial-Greifzange die dunklen Brocken heraus. Sieben Zentimeter dick war damals die Schwarzdecke auf der zwei Zentimeter dicken bituminösen Schicht aufgetragen worden. "Das würde man heutzutage anders machen, etwa durch eine Folienabdeckung", sagt Frese.
Natter packt unterdessen die Materialprobe zur späteren Untersuchung in eine Plastiktüte. Der kräftige Wind, der über die Hochstraße pfeift, und leichte Nieselregen machen ihm nichts aus. "Früher habe ich im Labor gearbeitet. Ich bin aber lieber draußen, weil man dann mehr sieht, umwas es geht." Auch Böhm, der Kaltasphalt aus einem Eimer holt und damit das Loch in der Fahrbahn schließt, lässt sich nicht beeindrucken. "Wir trainieren hier unser Immunsystem", meint er lachend.
Im Abstand von 50 Metern nehmen die beiden die Materialproben auf der Fahrbahn Richtung Mannheim. Ein dritter Kollege übernimmt die Baustelleneinrichtung. In der kommenden Woche kommt die Gegenrichtung dran, vermutlich bis zum Freitag, 19. Februar. Bis dahin werden auch aus der Unterseite der Hohlkästen unter der Fahrbahn sowie aus dem Hochbunker, der ebenfalls abgerissen wird, 20 bis 25 Zentimeter dicke Bohrkerne gezogen.
Abfahrten kommen später dran
Wann die langen Hochstraßen-Abfahrten untersucht werden, ist unklar. Freudenberg: "Das wird genau überlegt. Auf den Abfahrten ist nicht viel Platz. Daher ist mit größeren Behinderungen zu rechnen."
Wie werden die Riesenmengen an Beton abtransportiert? Dies ist völlig offen. Nach ersten Berechnungen fallen beim Abriss der Hochstraße 213 000 Tonnen Beton an, das entspricht etwa 13 000 Lkw-Ladungen. Beim ersten Bürgerforum 2014 hatte Chefplaner Johannes Lorch erklärt, dass der Abtransport nicht nur über die Straßen, sondern wegen des nahen Rheinufers auch per Schiff erfolgen könnte. Ob dies so kommt, ist aber nicht sicher. Klarheit, so Freudenberg, gebe es wohl erst nach dem Ergebnis der Ausschreibung.
© Mannheimer Morgen, Samstag, 13.02.2016